top of page

Itivuttaka

Vorwort

Das Itivuttaka, eine Sammlung von 112 kurzen Lehrreden, ist nach den Worten benannt, die am Anfang der einzelnen Lehrreden stehen, nämlich dies (iti) wurde gesagt (vuttam) vom Erhabenen.  Die Sammlung als Ganzes ist einer Laiin namens Khujjuttara zugeschrieben, die im Palast des Königs Udena von Kosambi als Dienerin einer seiner Königinnen, Samavati, arbeitete.  Da die Königin den Palast nicht verlassen konnte, um die Lehrreden des Buddha zu hören, ging Khujjuttara an ihrer Stelle, memorierte das, was der Buddha sagte, und kehrte dann zum Palast zurück, um ihr Wissen an die Königin und ihren 500 Zofen weiterzugeben.  Für diese Bemühungen erwähnte der Buddha Khujjuttara lobend als die Beste seiner Laienschülerin unter den Wissensreichen.  Sie war auch eine gute Lehrerin, denn als die Innenräume des Palastes später niederbrannten und die Königin und ihre Zofen dabei zu Tode kamen, bemerkte der Buddha (Udana VII.10), dass alle Frauen, zumindest die erste Stufe des Erwachens erreicht hätten.

 

Der Name des Itivuttaka ist schon im anfänglichen Verzeichnis mit neun Unterteilungen der Lehren des Buddha enthalten - ein Verzeichnis, das älter ist als die Gestaltung des Pali-Kanon, wie wir ihn heute kennen.   Es ist jedoch nicht möglich zu bestimmen, inwieweit das erhaltene Pali-Itivuttaka dem Itivuttaka, das in diesem Verzeichnis erwähnt ist, entspricht.  Der chinesische Kanon enthält eine Übersetzung eines Itivuttaka, welches man Hsüan-tsang zuschreibt und das dem Text des Pali-Itivuttaka sehr gleicht kommt.  Dennoch besteht ein ziemlicher Unterschied, denn einige Teile der Pali-Gruppe der Dreier und die ganze Pali-Gruppe der Vierer fehlen in der Übersetzung von Hsüan-tsang.  Entweder sind diese Teile spätere Ergänzungen zum Text, die dann ihren Weg in die Pali- jedoch nicht in die Sanskrit-Version, die von Hsüan-tsang übersetzt wurde, gefunden haben, oder der Sanskrit-Text war unvollständig oder die Übersetzung von Hsüan-tsang, die aus den letzten Monaten seines Lebens stammt, ist unvollendet geblieben.

 

Das erhaltene Pali-Itivuttaka besteht aus 112 itivuttakas und es ist zwischen den einzelnen itivuttakas und der Sammlung als Ganzes zu unterscheiden, wobei üblicherweise die letztere groß geschrieben wird und die erstere nicht.  Die Sammlung ist in vier Gruppen unterteilt, je nach der Anzahl der Dinge, die in jedem einzelnen itivuttaka behandelt werden.  Also die Gruppe der Einer enthält itivuttakas, die sich mit einem Ding befassen; die Gruppe der Zweier enthält itivuttakas, die sich mit zwei Dingen befassen, usw. bis zu vier Dingen.  Auf diese Weise gleicht das Itivuttaka in seiner Gestaltungsweise dem Aṅguttara Nikāya.

 

Und die Gleichartigkeit wird noch deutlicher.  Viele der Suttas im Aṅguttara sind in einem Prosatext abgefasst, dem eine Zusammenfassung in Gedichtform dessen, was im Prosatext steht, folgt.  Dies war offenbar eine der Methoden des Buddha, die seinen Zuhören helfen sollte, sich an seine Botschaft zu erinnern.  Im Itivuttaka folgen alle Texte dem folgendem Muster: ein vom Buddha gesprochener Prosatext, der sich an die Mönche richtet, gefolgt von einem ebenfalls dem Buddha zuzuschreibenden Vers, welche den Prosatext zusammenfasst.  Allerdings fügen dieVerse in den itivuttakas meistens noch zusätzliche Informationen hinzu, die nicht im Prosatext enthalten sind.  In den meisten Fällen ist die zusätzliche Information nahezu belanglos, aber in ein paar Fällen (wie §63) ist sie ziemlich umfangreich.  Da die Prosatexte in vielen Fällen extrem kurz sind, stellt sich die Frage, ob sie gesamte Lehrreden wiedergeben oder einfach nur der Kern dieser Lehrreden.  Wenn sie nur den Kern der Lehrreden wiedergeben, dann wurde vielleicht die zusätzlichen Information im Vers tatsächlich im umfassenden Prosatext der ursprünglichen Lehrrede behandelt.

 

Mehr als jede andere Sammlung im Kanon gibt das Itivuttaka einen Einblick in die Fähigkeit des Buddha seinen Wissensstoff beim Verfassen von Versen wiederzuverwenden.  In einigen Fällen werden ganze Verse wiederholt (z.B. §15 und §105); in anderen Fällen wird ein Vers, der anhand eines Thema verfasst worden ist, auf ein anderes Thema durch die simple Abänderung eines Wort oder zwei übertragen (z.B. die §§1-6).  In abermals anderen Fällen helfen Kadenzen und Zeilen, die sich wiederholen, die Verse zu vervollständigen bei einer Vielzahl von Themen (§§ 52, 54, 56).  Obwohl diese Tendenz ein Mangel an Originalität darzustellen scheint, ist dies kein Makel.  Es erleichtert die Aufgabe der Zuhörer, die versuchen, sich den Stoff einzuprägen, und weist auf Entsprechungen bei Themen hin, die ansonsten vielleicht nicht eindeutig wären.

 

Was den Stil betrifft, so unterscheidet sich das Itivuttaka von seinen Nachbarn im Khuddaka Nikāya, wie z.B. das Dhammapada und Udāna, denn es ist nicht ganz so offensichtlich von literarischen Überlegungen geprägt.  Die meisten der Prosa- und Verstexte sind in unkomplizierter Weise didaktisch.  So vermittelt die Sammlung als Ganzes keinen starken literarischen ‚Geschmack‘ (rasa), die ästhetische Erfahrung einer Emotion, was die Leute im alten Indien in literarischen Werken begehrten.  Dennoch enthält die Sammlung gelegentliche Spuren einer literarischen Sensibilität. 

 

Als gesamtes Gestaltungsprinzip vermittelt das letzte itivuttaka jeder der vier Gruppen den ‚erstaunlichen Geschmack‘, nämlich die ästhetische Erfahrung, welche durch die Darstellung von etwas eindrucksvollem vermittelt wird.  Die Gruppe der Einer endet mit einem Text (§27), der aussagt, dass Wohlwollen für alle Wesen ein Triumph sei, der die Siege aller Könige des Altertums überragt.  Die Gruppe der Zweier endet mit einem Text (§49) über die paradoxe Vermeidung von sowohl Werden als auch Nicht-Werden beim Meistern des Erwachens-Pfad eines Arahant.  Die Gruppe der Dreier endet mit einem lobpreisenden Text (§99), welcher den Arahant als den wahren Brahmanen feiert, und die Gruppe der Vierer endet mit einer noch umfangreicheren Lobpreisung (§112) über die vielen erstaunlichen Qualitäten des Buddha selbst.  So kommt das Erlebnis beim Lesen (oder Zuhören) jeder Gruppe, wenn auch die meisten Texte der einzelnen Gruppen keine Literatur sind, zu einem ästhetisch befriedigenden Abschluss.

 

Zwischendurch gibt es genug poetische Bilder, um das Interesse an einem Hauch von ‚ästhetischem Geschmack‘ zu wahren.  Obwohl einige dieser Bilder, wie z.B. die Alliteration nur schwierig in der Übersetzung wiederzugeben sind, halten andere der Wiedergabe aus dem Pali ins Englische, bzw. Deutsche, stand.  Die markantesten Bilder sind Gleichnisse (§§27, 38, 60, 69, 74, 75, 76, 78, 82, 87, 89, 91, 92) und Metaphern (§§38, 46, 57, 58, 59, 62, 68, 93, 96, 112), darunter eine vollständige Metapher (§109).  Ein anderes Bild, das verwendet wird, ist die Lampe, eine poetisches Bild, in welchem ein Wort, sei es ein Adjektiv oder ein Verb, in zwei oder mehr verschiedene Sätzen wirkt.  Der Name dieses Bilds kommt vom bildlichen Ausdruck der verschiedenen Sätze, welche durch dieses Wort ‚leuchten‘.  Beispiele von Lampen im Itivuttaka sind in den Textstellen 27, 87 und 92 zu finden.  Andere Bilder sind Erzählungen (§§22 , 83, 89), Auszeichnungen (§§27, 112), Etymologie (§112), Illustration (§92), rhetorische Frage (§98) und Lobpreisungen (§§106, 107, 112).  

Diese Bilder liefern eine Vielfalt an ‚ästhetischem Geschmack‘, aber dennoch lassen die militärischen Gleichnisse und Metaphern (§§27, 46, 62, 67, 68, 69, 82) sowie Auszeichnungen und Lobpreisungen den ‚heroische Geschmack‘ dominieren.  In der Ästhetik der Tradition dieser Zeit sollte der ‚heroische Geschmack‘ am Ende eines Werkes in eine Schattierung des ‚erstaunlichen Geschmacks‘ übergehen.  Dies stimmt, wie zuvor erwähnt, mit der allgemeinen Gestaltung der jeweilige Gruppe überein.  Somit gibt es zumindest ein wenig ästhetische Einheitlichkeit in der Sammlung als Ganzes, auch wenn das Itivuttaka kein anschauliches literarisches Werk ist.

 

Was den Inhalt betrifft, umfassen die itivuttakas das gesamte Spektrum der Buddhistischen Praxis, mit Schwerpunkt auf dem Basisniveau und dem sehr fortgeschrittenen Niveau.  Auf der Basisniveau konzentrieren sich die Texte auf die Unterscheidung zwischen geschicktem und ungeschicktem Verhalten.

Auf der fortgeschrittenen Niveau werden subtile Themen behandelt, wie die Funktion von Werden auf dem Weg (§49), die verschiedenen Aspekte der Entfesselung (§44) und die Tatsache, dass ein Arahant, der ‚Alles‘ aufgegeben hat (§§66, 68) in keiner Weise klassifiziert werden kann (§§63, 69).  In der Tat sind viele der Erörterungen dieser fortgeschrittenen Themen der Praxis nirgendwo sonst im Kanon zu finden.  Wären sie nicht memoriert worden, wäre unser Wissen über die Lehre des Buddha ärmer gewesen.  Wir stehen wie Königin Sāmāvati und ihr Gefolge in Khujjuttarās Schuld.

 

März, 2013  Ṭhānissaro Bhikkhu

(Geoffrey DeGraff)

bottom of page